Der Verband im Umbruch - Erwin Görgen (Teil 2)
Was waren Meilensteine in dieser Zeit, die SOD vorangebracht haben?
Dass bis Ende 2004 sieben eigenständige Landesverbände, darunter die drei größten Bundesländer NRW, Bayern und Baden Württemberg, gegründet werden konnten, war sicherlich ein entscheidender Durchbruch in der Entwicklung von SOD. Als vordringliche Aufgabe galt es, die Länder zu koordinieren und sie in die Arbeit des Bundesverbandes mit einzubinden.
Die Nationalen Sommerspiele 2004 in Hamburg waren in jeder Hinsicht überaus erfolgreich. Von einem sehr hohen Medieninteresse begleitet waren die Spiele nicht nur solide finanziert, sondern auch professionell organisiert. Hier hatte die geschäftsführende Vizepräsidentin Brigitte Lehnert, die für die Spiele verantwortlich war, hervorragende Arbeit geleistet.
Anlässlich der Hamburger Spiele trafen sich Vertreter der neu gegründeten oder in Gründung befindlichen Landesverbände zu einem ersten Meinungsaustausch. Der Wille der Länder zu einer dauerhaften Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung wurde bekundet.
Mit welchen Problemen mussten Sie sich vor allem auseinandersetzen?
In der Vorbereitung der Nationalen Winterspiele in Garmisch Partenkirchen 2005 kam es zu großen Spannungen im Präsidium. Bei Grundsatzentscheidungen wurden nicht alle Präsidiumsmitglieder eingebunden.
Aus dem Präsidium und auch von SOI/SOEE wurde Kritik an der Geschäftsführung laut.
Wie kam es zur Verbandskrise 2005, als sogar eine evtl. Neugründung von SOD im Raum stand?
Die Nationalen Winterspiele vom 24.01. bis 27.01.2005 waren für den Verband ein Rückschlag, sowohl in der Planung und Finanzierung als auch in der Durchführung. Die Finanzsituation bei SOD war prekär.
Präsident Prof. Dr. Kapustin erklärte seinen Rücktritt. Brigitte Lehnert übernahm als geschäftsführende Vizepräsidentin die Geschicke des Vereins. Es wurde die Reißleine gezogen und wichtige Entscheidungen im Präsidium getroffen.
- Einsetzung einer Innenrevision
- Neubesetzung der Geschäftsführerstelle
- Suche nach einem neuen Präsidenten
- Umzug der Geschäftsstelle von Würzburg nach Berlin
Es waren nicht die schönsten und angenehmsten Tage, die ich in dieser Zeit mit Brigitte Lehnert, Gernot Buhrt und Caspar-Maria Giani in Würzburg verbrachte.
Es war schon einiges, was uns an Kraft, Zeit und psychischer Belastung abverlangt wurde. Wir hatten aber den festen Willen und ein klares Konzept, um aus der Krise herauszukommen. Dies konnte aber nur in einer offenen Transparenz sowohl nach innen wie nach außen erfolgen.
So wurden die Ländervertreter permanent unterrichtet. Mit den Sponsoren wurde die prekäre Lage von SOD ohne Umschweife erörtert und Wege aus der Krise aufgezeigt. Im Nachhinein betrachtet, war das auch der einzig richtige Weg; denn nicht ein einziger Sponsor ist abgesprungen.
In Gesprächen mit dem BMI über die aktuelle Situation des Vereins wurden auch die noch ausstehende Verwendungsnachweise angesprochen und die Möglichkeiten einer dauerhaften Förderung eines Sportkoordinators erörtert.
Als Mitte Mai 2005 Gernot Mittler Bereitschaft zeigte, für das Amt des Präsidenten
auf der Mitgliederversammlung im Herbst zu kandidieren, haben wir ihn in alle
Angelegenheiten mit einbezogen. Für Gernot Mittler war wichtig, dass bis zur Wahl eines neuen Präsidenten alle Problemfelder und Altlasten abgearbeitet sind.
Anfang August haben Brigitte Lehnert, Gernot Buhrt und ich den Umzug von Würzburg nach Berlin vorbereitet und durchgeführt. Bei dieser Arbeit haben wir dann erst den chaotischen Zustand der Geschäftsstelle in vollem Ausmaße gesehen. Es gab nur ganz wenige Dokumente (Sportveranstaltungen) die in Ordnern abgelegt waren. Die meisten Schriftstücke und Dokumente befanden sich in Ablagekästchen und diese waren wiederum in Kartons verpackt. Es war in der Tat eine Herkulesaufgabe das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.
Ebenfalls im August liefen die Bewerbergespräche für die Stelle des Geschäftsführers und des Sportdirektors, die dann auch zum 01.10.2005 ihre Arbeit in der neuen Geschäftsstelle in Berlin in der Chausseestraße aufnahmen. Mit diesem Tag begann dann auch in einer klar strukturierten Organisationsform eine neue Ära in der Geschäftsführung.
Auf der Mitgliederversammlung im November 2005 unter der Leitung von Brigitte Lehnert wurde sehr detailliert und umfangreich über die Krisensituation und die gezogenen Konsequenzen hieraus berichtet. Um den Weg für Neuwahlen frei zu machen, trat das Präsidium geschlossen zurück. Gernot Mittler wurde zum Präsidenten gewählt. Mit neun neuen Präsidiumsmitgliedern startete man mit viel Zuversicht einen Neubeginn.
Was waren Ihre persönlichen Erfolgserlebnisse?
Ganz zweifelsohne waren das die Mithilfe und Unterstützung bei der Gründung der Landesverbände.

Wer waren Ihre Mitstreiter in dieser Zeit, denen Sie anlässlich der 25 Jahre danken möchten?
Zunächst ist mein Freund Karl-Heinz Thommes zu nennen. Er hat mich schon in den 80er Jahren von dem Special Olympics Gedanken angesteckt und diesen Virus habe ich heute noch. Mit ihm zusammen durfte ich einen großen Teil der SO Weltfamilie kennen lernen. Von seiner Kämpfernatur konnte ich vieles lernen.
Die geistig behinderten Menschen haben mir sowohl in meiner beruflichen Tätigkeit als auch bei Special Olympics wahnsinnig viel gegeben. Ich habe an ehrlicher Freundschaft, Dankbarkeit und Achtung ein Vielfaches mehr bekommen als ich an Zeit und Arbeit in die Organisation eingebracht habe.
In den 25 Jahren habe ich sehr viele Coaches und Headcoaches kennengelernt.
Es waren ausnahmslos Menschen, die mit Herz, Einfühlungsvermögen, außergewöhnlichem Engagement und hohem Sachverstand an der Seite unserer geistig behinderten Athleten standen. Viele sind von den Anfängen an noch heute mit dabei. Sie leisten Großartiges im Getriebe unserer Sportorganisation.
Mein Einstieg in das SOD Präsidium 2003 hatte ich mir ganz anders vorgestellt.
Die Querelen, die unterschiedlichen Verbandsinteressen und eine unprofessionell arbeitende Geschäftsstelle waren nicht mein Ding. Ich hätte sicherlich das Handtuch geworfen, wenn da nicht die geschäftsführende Vizepräsidentin Brigitte Lehnert gewesen wäre. Sie war eine Kämpfernatur, hatte klare Vorstellungen und vor allem Umsetzungsvermögen. Wir beide lagen in vielen Dingen, auch was offene Kritik im Präsidium anging, auf einer Linie. Brigitte Lehnert hat als amtierende Vizepräsidentin das Krisenjahr 2005 mit Standfestigkeit, Führungsqualität und hohem Zeitaufwand bewältigt.
Die Wahl von Gernot Mittler war ein Glücksfall. Die in 2005 entstandenen Wunden waren schnell verheilt und vergessen. Es ging mit jedem Tag aufwärts. Als ehemaliger Minister hatte er ein riesiges Netzwerk, dass er voll und ganz für SOD Zwecke zu nutzen wusste und manche Türen öffnete. Seine Idee, dass alle Präsidiumsmitglieder an den Weltspielen 2007 in Shanghai teilnehmen sollen, war bahnbrechend. Eine ganze Woche lang in unmittelbarer Nähe unserer Athleten, Coaches, Sponsoren und Gäste hat uns als Präsidiumsteam zusammen gebracht und unsere gemeinsame Arbeit in positiver Weise beeinflusst. Als 1. Vizepräsident war es angenehm und konstruktiv, mit ihm zusammen zu arbeiten.
Als Mitglied im Präsidium war ich auch zuständig für die SO Länder. Von den Anfängen an hatte ich ein sehr gutes und aufgeschlossenes Verhältnis zu den Vorsitzenden. Mit Bewunderung habe ich insbesondere die Aufbauarbeit und Weiterentwicklung der Länder miterleben können. Im Länderrat haben die Vorsitzenden sich in einer Gemeinsamkeit sehr stark für die positive Entwicklung von SOD eingebracht. An der großen Bedeutung des Länderrates im Geflecht von SOD hat der ehemalige und langjährige Vorsitzende Fritz Wurster ganz wesentlichen Anteil.
Mit Prof. Dr. Walter Tröger (ehemaliger NOK Präsident und IOC Mitglied) hatten wir einen verlässlichen Freund und Gönner, der auch in schwierigen Zeiten an unserer Seite stand. Seine Ratschläge waren immer sehr gefragt. Es war wohltuend, wenn er bei Weltspielen unsere deutsche Delegation besuchte.
Die Liste derjenigen, denen noch Dank zu sagen wäre, ließe sich noch fortsetzen, aber es würde hier den Rahmen sprengen.