Editorial

Im Jahr 1991, dem Jahr, in dem Special Olympics Deutschland gegründet wurde, gab es – von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - ein kleines, aber feines Sportereignis: Es nannte sich bescheiden „1. bundesweites Fußballtreffen der Lebenshilfe“ und fand in der Sportschule Wedau statt. In drei Gruppen spielten Menschen mit einer geistigen Behinderung in je vier Mannschaften, die erst vor Ort zusammengestellt wurden.

Mitveranstalter waren u.a. der Deutsche Behindertensportverband, der Deutsche Fußballbund und die Sepp-Herberger-Stiftung. Behindertenorganisationen und der organisierte Sport veranstalten ein gemeinsames Sportereignis. Kommt uns das nicht bekannt vor?

Schirmherr, Teilnehmer und Integrationsfigur – sollte man sagen „Inklusionsfigur“? - war FRITZ WALTER.

Das nächste Sportfest dieser Art 1993 war dann im fachlichen Sinne „integrativ“: In den Mannschaften spielten Menschen mit und ohne (geistige) Behinderung. Nach heutigen Maßstäben ist dies vom Konzept und der Konstellation der Veranstalter her nahe an Unified Sports® von Special Olympics; es war – wenngleich es den Begriff damals noch nicht gab -  ein inklusives Sportangebot...

Nach einem Jahrzehnt ist dieses Sportfest dann "sanft entschlafen". Wohl auch deswegen, weil  trotz „guter Kritiken“ die erhoffte nachhaltige Resonanz ausblieb und man in der Lebenshilfe Prioritäten im Freizeitbereich anders setzte.

Offensichtlich war damals trotz der zurückliegenden, teils sich im Kreis drehenden Integrationsdiskussion die Zeit noch nicht reif für das, was wir heute als Inklusion propagieren, mit dem sich heute die Wissenschaft umfassend befasst, die Presse auseinandersetzt, das die unterschiedlichsten Professionen, Verbände und Vereinigungen umtreibt und das die Politik immer ernster nimmt – Danke an Frau Ministerin Nahles für ihren Gastkommentar.

Konzeptionell hat sich zwischenzeitlich viel getan. Weltweit schritt die Förderung  von Menschen mit geistiger Behinderung, ungeahnte Potentiale wurden entdeckt. Mitarbeiter in Einrichtungen und Diensten und Eltern orientierten sich mehr und mehr an einem emanzipierten Menschenbild. Geistig behinderte Menschen selbst entdeckten ihre Kraft, entwickelten den Willen nach mehr Selbstbestimmung. Wir erleben „empowerment“, ein Phänomen, das so schwer ins Deutsche zu übersetzen ist. Lassen wir es also bei diesem  Begriff: Menschen mit Behinderung verdienen nicht nur Respekt, sie haben auch „power“.

Aufgegriffen und begünstigt hat diese Entwicklung die „Übereinkunft über die Rechte behinderter Menschen der Vereinten Nationen“ – kurz: „Behindertenrechtskonvention“. Sie hat „die Szene“ wachgerüttelt, Wagemutige bestärkt, sie ist eine „Schatztruhe“, die es zu heben und zu öffnen gilt. Auch im Bereich des Sports.

Seien wir einen Augenblick selbstkritisch! Auch Special Olympics hat erst nach und nach die Kraft, ja Wucht dieser Idee erkannt. Die Umprofilierung vom Schwerpunkt „Veranstaltungsagentur“ zur „Alltagsbewegung“ und „politischen Kraft“ kam erst mit der Zeit und setzte so richtig erst nach der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention 2006 und ihrer Ratifizierung in Deutschland 2009 ein.

Das „Special“ in unserem Namen musste neu definiert und inhaltlich „aufgeladen“ werden. Heute bietet Special Olympics keine Sonder-Spiele mehr, wohl aber besondere Spiele: Es ist ein anderer Geist zu spüren. Bei allem Siegeswillen: Weniger Verbissenheit, mehr Freude am Sport, spürbar freundschaftliche Atmosphäre, Fairness allenthalben, olympischer Gedanke in Reinkultur. Hinzu kommt der permanent wachsende Anteil an Unified-Angeboten.

Wenn Sie sich diesen Newsletter anschauen, werden sie feststellen: Er hat das Schwerpunktthema Inklusion und hierfür ein eigenes Kapitel. Aber auch andere Abschnitte  sind durchsetzt mit diesem Thema: Unsere News/Berichte und das „Aktuelle aus den Landesverbänden“ ist voller inklusiver Vorhaben und Projekte. Und auch die Landesverbände, die nicht mit einer eigenen Meldung vertreten sind,  sind inklusiv auf dem Weg: Dort etwa, wo derzeit Landesspiele für 2015 geplant werden wie in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bremen sind eindeutig inklusive Spiele im Visier.

Es gilt zu beweisen, dass Inklusion keine Illusion ist. Und zwar durch Beispiele, die mitten aus dem Leben gegriffen sind. Daher ist es höchste Zeit, die Inklusionsdiskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen. Vom Kopf der Vereinten Nationen und den Höhen der Bundes- und Landespolitik auf die Füße der Kommunalpolitik und der örtlichen Ebene. Daher sind auch unsere Landesspiele so wichtig!

Zur Realisierung des Inklusionsgedanken empfiehlt es sich, neben den „dicken Brettern“ etwa der Bildung oder des Arbeitslebens auch die etwas dünneren ins Blickfeld zu nehmen. Felder, in denen Inklusion leichter zu realisieren ist, ohne dass in der Vergangenheit bewährte Strukturen vorschnell umgekrempelt werden müssen oder  wo riesige Finanzhürden zu bewältigen sind. Denn: Inklusion gibt’s nicht zum Nulltarif!

Vielleicht hätten die Inklusions-Aktivisten (und dies ist positiv gemeint) früher niedrigschwellige Lebensbereiche wie Sport und Kultur etwas ernster nehmen sollen, weil hierüber die zentrale und vorrangige Herausforderung der Veränderungen von Haltungen leichter zu erreichen ist.

Zu diesen Inklusionsfeldern gehört vorrangig Spiel,  Sport und Bewegung und das damit verbundene  Vereinswesen. Wir vom Sport können bewusstseinsbildend wirken, Motor und Türöffner sein für andere Bereiche wie schulische Bildung, Arbeitsleben und die inklusive Gestaltung des Wohnumfelds behinderter Menschen.

Nutzen wir diese Chance – selbstbewusst und mutig! Wie endet doch der Special-Olympics-Eid: „… lasst mich mutig mein Bestes geben!“ Das gilt auch für uns als ein Verband, der – einzigartig als Scharnierstelle und Transmissionsriemen - die Welt behinderter Menschen und die des Sports verbindet.

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