Miteinander voneinander lernen - das ist Unified Sports®

Von Martin Hötzl, Headcaoch Unified-Basketball der Deutschen Delegation

Wenn sich am 9. September 2014 die Delegation aus Bruckberg auf die Reise macht, geht es wieder los - das Lernen. Das Voneinander lernen. Das Miteinander lernen. Dass Jeder von Jedem lernt.

Nein, hier macht sich keine Schulklasse auf den Weg in das Schullandheim. Keine Gruppe von Arbeitskollegen bricht auf zu einer Fortbildung, sondern das Unified Basketball Team Germany aus Bruckberg macht sich auf den Weg zu den Europäischen Spielen von Special Olympics Europa/Eurasien nach Antwerpen.

Zum dritten Mal nach 2006 und 2010 nehmen Sportler mit und ohne geistige Behinderung aus den Bruckberger Heimen als deutsche Vertretung an europäischen Spielen als Unified Team teil. Viermal in Folge starteten Sportler aus Bruckberg zudem bereits als Team Germany bei Weltspielen. „Immer diese Bruckberger“, werden sich Viele jetzt sagen die sie kennen. Woher kommt diese Konstanz? „Warum immer diese Bruckberger?“

Unified Sport hat in Bruckberg eine über 30-jährige Tradition. Jahre bevor es Stichworte wie Integration, Inklusion und Unified gab, wurde diese Arbeit im Bereich Sport bereits praktisch umgesetzt. Der Nationale Koordinator Basketball, Mike Newton, und der Einrichtungsleiter, Joachim Neuschwander, schnürten einst selbst die Basketballschuhe und standen mit „ihren Jungs“ in der Halle.

Seither hat sich diese Arbeit, diese Idee, diese Philosophie weiter entwickelt – und noch viel wichtiger – hat sich der Geist wie diese Arbeit in Bruckberg gemacht wird, erhalten. Über 30 Jahre hinweg, über unzählige Veränderungen und strukturellen Reformen hinweg.

Zahlreiche Sportler mit geistiger Behinderung (Athleten) haben in dieser Zeit an den „Unified Angeboten“ in Bruckberg teilgenommen. Sie sind viel herumgekommen, haben viel erlebt und können erzählen, was sie erlebt haben und berichten stolz von den Erlebnissen mit ihren Mannschaftskameraden ohne geistige Behinderung (Partner). Auf den ersten Blick wird sich jeder sagen: „Das ist ja toll, was die Athleten von den Partnern auf diesen Reisen alles lernen konnten“. Diese leicht verstaubte Sichtweise geht inzwischen aber ziemlich weit an dem Gedanken vorbei, der heute im Jahr 2014 als Inklusion bezeichnet wird.

Martin Hötzl (Foto: Bruckberger Heime)
Martin Hötzl (Foto: Bruckberger Heime)

Unified Basketball Team Bruckberg (Foto: Bruckberger Heime
Unified Basketball Team Bruckberg (Foto: Bruckberger Heime

In Bruckberg wird das Unified Sports® Programm nicht als einseitige pädagogische Lerntheorie verstanden. Schon immer waren es auch die Partner, die von Ihren Athleten gelernt haben.

Auch meine eigenen Erfahrungen haben mein Sportverständnis, meine Sichtweise, meine Haltung gegenüber den Athleten von Grund auf verändert. 1998 als junger Zivildienstleistender und leidenschaftlich ehrgeiziger und erfolgsverbissener Basketballer nahm ich erstmals an einem „Unified Turnier“ teil (wie gesagt, den Begriff gab es damals noch nicht, bzw. war er in Deutschland noch nicht weit verbreitet).

Durch meine Leidenschaft Basketball und meine aktive Zeit in der Jugendmannschaft des TSV Ansbach wollte ich mit meinen Mannschaftskameraden mit geistiger Behinderung bei dem anstehenden Turnier in Amberg um jeden Preis das Turnier gewinnen und ging entsprechend motiviert in das Turnier. Geprägt durch meine bisherigen Sportlererfahrungen war mir klar, dass ich an dem Turnier eine Einheit mit meinen Mannschaftskameraden bilden musste, um gewinnen zu können. Die Kontakte zu anderen Mannschaften und Spielern ausblenden, sich fokussieren auf den Turniersieg, sich abschotten, abschirmen – den Tunnelblick bekommen, um den höchstmöglichen sportlichen Erfolg an diesem Wochenende erreichen zu können. Alles Begrifflichkeiten aus der glamourösen Welt des Profisports, für die ich mich jahrelang so sehr begeistern konnte.

So betrat ich die Halle, mit meinem Team im Rücken. Nach 5 Minuten stand ich alleine da. Völlig alleine. Meine Mannschaftskameraden waren weg. Sie strömten förmlich aus. Ließen mich am Halleneingang stehen, um ihre Freunde aus den anderen Mannschaften zu begrüßen, sich mit ihnen zu unterhalten, sie in den Arm zu nehmen und um miteinander zu lachen. Ich, der „Möchtegern-Supersportler“ stand völlig überfordert mit der Situation auf verlorenem Posten.

Noch nie verließ ich eine Sporthalle nach einem Wochenende mit so vielen Erkenntnissen, neuen Erfahrungen und völlig neuen Eindrücken. An diesem Wochenende hatte ich mehr über Sport gelernt als in all den zahlreichen Stunden, die ich selbst aktiv auf dem Basketballfeld oder vor dem TV mit Sportübertragungen verbracht hatte.

An diesem Wochenende wurde mir von meinen Sportlern mit geistiger Behinderung sehr deutlich vor Augen geführt, wie es sich anfühlt, nicht dazu zu gehören und wie einsam Sport auch machen kann – wenn man den falschen Zugang dazu hat. Ich verließ die Halle am Ende des Wochenendes und hatte Sportler aus allen Mannschaften kennengelernt. Hatte so viel gelacht wie noch nie auf einem Basketballturnier und hatte unglaublich tolle Sportler kennengelernt, die mir meine Mannschaftskameraden vorgestellt hatten. Ich war eingetaucht in die Sportwelt meiner Mannschaftskameraden mit geistiger Behinderung.

Das ist es, was Inklusion unter Anderem für mich bedeutet. Sich auf die Menschen einzulassen, sich auf eine neue, andere, erweiterte Sportwelt einzulassen. Vorurteile, Denken in Kategorien, Barrieren, Leistungsorientierung abzulegen und sich auf den Kern des Sports einzulassen, der viel mehr geben kann als sportliche Erfolge.

Die Unified Partner des Sportkonzeptes von Special Olympics können mit den heutigen Erkenntnissen und Termini in Zeiten der Inklusion stellvertretend für die Gesellschaft gesehen werden. Sie symbolisieren die Denkweise und die Erfahrungen von Menschen ohne Behinderung. Und auch sie müssen sich auf den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft machen.

Auf diesem gilt es für sie viel zu lernen. Neue Erkenntnisse zu gewinnen und Erfahrungen sammeln, um diese dann weitergeben zu können. An ihre Familie, an ihre Freunde, an ihre Klassenkameraden, an ihre Trainer im Verein, an die Öffentlichkeit, an die Gesellschaft. So kann er aussehen der Weg zu einer inklusiven Sportgesellschaft.

Meine Erfahrungen in Bruckberg – nicht nur an diesem beschriebenen Wochenende – haben mir im Laufe der Jahre die wesentlichsten Momente des Glücks beschert. Diese Erfahrungen können weitergegeben werden, können multipliziert und potenziert werden und wirken weiter – bei all den Partnern, die ich im Laufe meiner Jahre in Bruckberg trainiert habe. Viele von ihnen wiederum geben ihre Erfahrungen auch wieder weiter.

Wie Martin Merkel, der als freiwilliger Helfer das Organisationsteam bei diversen Basketballveranstaltungen von Special Olympics Deutschland z.B. bei den Special Olympics München 2012 unterstützt hat und als Unified Partner Teil unseres Teams bei den Weltspielen 2007 war (siehe auch seinen Bericht in diesem Newsletter).

Oder Tino Zorn, der als Lehrer für Sport und Mathematik am Gymnasium Carolinum in Ansbach mit seinen Schülern des P-Seminars am 11.10.2014 eine Unified Veranstaltung an seiner Schule auf die Beine stellt. Wie Laura Kittel, Felix Beisler, Cillian Newton und Natascha Schenk, die ihr Unified Partner Dasein mit der Berufswahl zum Erzieher/In oder Heilerziehungspfleger/In untermauern.

Wie Sebastian Melz – der Junge aus Bruckberg, der mit 11 Jahren zu uns kam und nun Betreuer einer unserer Sportler ist. Wie Deborah Rohm, Nadine Lehnert und Vanessa Kamm, die Feuer und Flamme für Special Olympics sind. Wie Steffen Baumann, mein Freund, der sich bei Weltspielen 1999 in den USA verliebt hat und nun in den USA lebt.

Wenn wir eine inklusive Gesellschaft möchten, dann müssen wir alle lernen, miteinander voneinander zu lernen.

Das alles kann Unified Sports® bei Special Olympics bewirken. Lasst Euch drauf ein! – Be a fan!

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