Special Olympics an die Basis bringen

 

Zur Bedeutung von Landesspielen in der Arbeit von Special Olympics in Deutschland

Dem aufmerksame Leser mag es aufgefallen sein – das kleine Wörtchen „in“ im Untertitel. Ich spreche hier nicht von „Special Olympics Deutschland“ als Dachverband, sondern von uns allen, die wir uns als Landesverbände, deren Mitglieder, als Freunde in Politik und Verbänden, in der Öffentlichkeit der Idee von Special Olympics verbunden wissen.

Special Olympics IN Deutschland hat sich in den letzten Jahren konsequent und bedacht ein Stück weit verändert. Schon vorneweg – wir sind auf einem langen Weg ein gutes Stück vorangekommen, allerdings sind wir noch nicht am Ziel.

Wir sind auf einem erfolgversprechenden Weg, wenn wir uns seit etwa 2008 – ein wenig plakativ gesprochen – von einer Eventagentur zu einer Alltagsbewegung entwickeln. Unser Ziel ist es, möglichst vielen Menschen, die wir – meines Erachtens leichtfertig – „geistig“ behindert nennen, den Zugang zu Spiel, Sport und Bewegung zu verhelfen.
Darin haben wir einiges erreicht, dafür stehen zwei Zahlen dieses Jahres: 2015 finden ca. 80 Anerkennungswettbewerbe statt, insgesamt richten die Landesverbände, Einrichtungen und Vereine mehr als 220 Veranstaltungen aus. Wir fördern, oft über den Einstieg mit Special Olympics Unified Sports®, inklusive Angebote. Heute sprechen wir von 40 000 Athletinnen und Athleten in Deutschland, die bei und mit Special Olympics Sport treiben. Diese Zahl stagniert seit einiger Zeit, sie gilt es zumindest zu verdoppeln.

Wie kann das gelingen? In dem wir – auch über Landesspiele – die Landesverbände, die Arbeit vor Ort in den Einrichtungen, also die Basis, in den Fokus stellen. Indem wir möglichst viele Menschen mit geistiger Behinderung erreichen und ihnen die Möglichkeit geben, Special Olympics zu erleben. Das geht nur vor Ort. Landesspiele sind dafür ein ganz entscheidender „Motor“.

Rufen wir uns ins Gedächtnis: SO rückte – noch im letzten Jahrtausend – in Deutschland ins Blickfeld, als die „Altvorderen“ eine Mannschaft zu Weltspielen entsandte. Dann, nach der Gründung von Special Olympics Deutschland e.V. 1991 (noch nicht wirklich „in“ Deutschland), begann die deutsche Gründergeneration mit Nationalen Spielen. Erst mit der Gründung von Landesverbänden – zu Beginn dieses Jahrtausends – gab es die ersten Spiele auf Landesebene – bis vor kurzem noch „Regionale Spiele“ genannt.

Seit dem letzen Jahr nennen wir sie „Landesspiele“ und meinen damit mehrtägige Veranstaltungen mit mehreren Sportarten und einem Rahmenprogramm, zu dem zumindest Healty Athlets®, eine Eröffnungsveranstaltung mit olympischem Zeremoniell und eine Schlussveranstaltung gehören.

Wir wollen damit erreichen, dass nicht mehr „nur“ etwa 5 000 Athleten alle zwei Jahre eine Großveranstaltung auf nationaler Ebene erleben, sondern dass dies bundesweit 12 000 bis 15 000 Sportler sind, die sich auf ein Sportfest freuen, das über eine Eintagesveranstaltung in einer Sportart hinaus geht. Auf „Olympische Spiele“ eben, wo man auch Freunde trifft, die eine andere Sportart betreiben.

Das Jahr 2015 ist ein Meilenstein: Erstmals in der SO Geschichte sind es sechs Landesverbände, die Landesspiele anbieten. Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin-Brandenburg, Bremen, Niedersachsen und Hessen. Insgesamt werden es 4 000 Athleten sein, die Landesspiele erleben. Hinzu kommen die Teilnehmer am Wettbewerbsfreien Angebot, die Coaches, die Volunteers – so dass geschätzte 10 000 Menschen bei Landesspielen aktiv sind.

Dem Vernehmen nach sind alle Landesspiele, die schon stattgefunden haben, sehr erfolgreich gewesen – aus der Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie auch aus der Sicht der Öffentlichkeit. Die „Hessen“ haben gerade Lampenfieber (Eröffnung ist am 7. Juli) und hoffen, dass alles gelingt. … zumal es die ersten Landesspiele sind, die SO in Hessen austrägt.

„Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt“ – dieses Zitat des griechischen Dichters Hesiod gilt genauso wie Theodor Fontanes „Genie ist Fleiß“. Womit ich die idealisierende Ebene programmatischer Grußworte verlasse. Dabei leite ich die nachfolgenden Gedanken aus wertvollen Erfahrungen ab, die ich als ehrenamtliches Mitglied im Organisationskomitee der Landesspiele in Hessen gewonnen habe, die in meiner Heimatstadt Marburg stattfinden. Gute Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.

Nun schreibe ich hier keinen Leitfaden für die Organisation von Landesspielen, sondern ein Editorial. Daher nur einige kurze Gedanken:

Die beiden Zitat geben schon viel wieder: Der „Schweiß“ fließt in Gestalt von Finanzen und personellen Kapazitäten, die gemeinsam in eine schlagkräftige Struktur zu bringen sind. Beides rechtzeitig sicherzustellen, ist unausweichlich. Der eigentliche Engpassfaktor scheint mir auf der personellen Seite zu liegen. Denn man braucht auch Menschen, die Geld beschaffen.

Welche? Sich darüber Gedanken zu machen, steht aus meiner Sicht am Anfang des Planungsprozesses. Meine hessischen Erfahrungen sagen – und das ist wenig originell: Man braucht ein gut gesteuertes Zusammenspiel von „bezahlten“ Kräften und ehrenamtlich Engagierten.

Natürlich gibt es weitere Erfolgsfaktoren, wie einen guten Draht zur Politik auf kommunaler und Landesebene. Oder ergiebige Kontakte zu regionalen Sponsoren. Oder: Willkommen sein in der Stadt, wo die Landesspiele stattfinden. Oder ganz wichtig: Geeignete Sportstätten und Unterkünfte. Oder ein Netzwerk in den organisierten Sport hinein. Oder ganz banal: Geeignete Büro- und Lagerräume.

Das alles aber klappt dann, wenn man die richtigen Leute hat – sie sind der Schlüssel zum Erfolg: An Schlüsselpositionen sollten – so meine Erfahrung – Funktionsträger sitzen, die im Vorstand des Landesverbands aktiv sind oder ihm nahe stehen. Nebenbei: Bei uns in Hessen läuft’s bestens!

Gleichwohl – seien wir ehrlich: Es mag Phasen in der Vorbereitung geben, wo man insbesondere auf der ehrenamtlichen Seite aufseufzt und sich fragt: „Warum haben wir uns das angetan?“ Aber das ist ganz natürlich! Derartige Phasen sind dann nur „Episode“, wenn der Teamgeist stimmt. Ihn zu pflegen, ist Führungskunst.

Diese Frage ist dann vergessen, wenn sich Erfolge einstellen. Im Mittelpunkt stehen hier die teilnehmenden Athletinnen und Athleten. Dass Sie zufrieden nachhause fahren und gerne an die Landesspiele zurückdenken, ist entscheidend.

Es gibt auch „Kolateral-Erfolge“:

Wenn man erreicht, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung Menschen mit einer geistigen Behinderung anders und weniger vorurteilsbelastet sieht, wenn in der Region Special Olympics und Paralympics richtig einordnet werden, wenn SO bekannter und sympathisch wahrgenommen wird, dann ist das „Gold“ wert. Nicht nur, aber möglicherweise auch im materiellen Sinne.

Wenn Vereine sich für unsere Athleten öffnen – im Idealfall sogar auf uns zukommen und fragen – wie z.B. in Marburg geschehen: „Wollt Ihr nicht eine Tennisgruppe mit uns aufziehen?“ Obwohl Tennis nicht zu den angebotenen Sportarten gehörte. Wenn die Medien „unsere Athleten“ und damit Special Olympics entdecken – dann erlebt man trotz aller Mühen (oder gerade weil man sie sich gemacht) hat durchaus „Glücksgefühle“.

Wenngleich Landesspiele Events sind, sind sie geeignet deutlich zu machen, dass SOD und Landesverbände gleichermaßen mehr sind als Anbieter von Sportfesten. Im Planungsprozess von Landesspielen wird deutlich, das auch Öffentlichkeitsarbeit, auch Mitgliedergewinnung, auch Fortbildung, auch das Pflegen der politischen Kontakte zum Aufgabenspektrum von SO gehört. Mehr noch: Nur so – und das erlebt man im günstigen Falle, über erfolgreiche Landesspiele werden wir zur gesellschaftsverändernden, inklusiven Kraft.

Special Olympics an die Basis bringen – Landesspiele zwar nicht das einzige Instrument auf dem Weg einer derartigen Verbandsentwicklung – wohl aber ein extrem wichtiges und aus meiner Sicht unverzichtbares.

Ich habe vorhin den „Schweiß“ bemüht, was für uns Sportlerinnen und Sportler sicher legitim ist. Und so ende ich auch: „Es ist des Schweißes der Edlen wert“, Landesspiele zu wagen. Die hoffentlich stets unter dem Strich positive Reaktion unsere Athletinnen und Athleten, aber auch ihrer Angehörigen und aller, die sie ehren- oder hauptamtlich begleiten, ist der schönste Dank.

Ihr
Dr. Bernd Conrads
Erster Vizepräsident SOD

© Special Olympics Deutschland e.V.   |   Website von Kombinat Berlin