Die Anfänge - Teil 2

Wer waren Ihre Mitstreiter in dieser Zeit? 

Karl-Heinz Thommes: Vor den Gründerjahren und auch die ersten Jahre danach waren es vor allem die Mitarbeiter der Bundesvereinigung Lebenshilfe Tom Mutters, Dr. Bernhard Conrads, Klaus Kräling, Hans Volker Wagner sowie Manfred Siebert aus Offenburg und Prof. Peter Kapustin aus Würzburg, Gernot Buhrt aus Berlin, Roland Thommes – alles Mitstreiter, auf die man sich verlassen konnte.

Bernhard Conrads: Das war aus Sicht der Lebenshilfe Prof. Dr. Peter Kapustin, Leiter des Instituts für Leibeserziehung an der Uni Würzburg; der erste Präsident von SOD. Gleichermaßen maßgeblich ist Karl-Heinz Thommes durch sein persönliches Engagement und seine Verwurzelung in Rheinland Pfalz. 

Gernot Buhrt: Zuallererst Dank all jenen Partnern, Freunden und Mitstreitern, mit denen ich gemeinsam seit 1990 in Berlin Special Olympics Veranstaltungen und Trainingsmöglichkeiten für unsere SO Athleten organisiere. Dazu zählen Peter Wilke, Sabine Wilke, Jürgen Günsel, Jutta und Reinhard Recknagel von meinem Sportverein, Nina Jähn und Klaus Hawacker vom Team OTIS  sowie mein Mentor, Helmut Siebert.

Innerhalb des ersten SOD Vorstandes habe ich in der ersten Phase bis zum Jahr 2000 besonders eng mit Karl-Heinz Thommes, Michael Buckup  und Gerd van Dam zusammengearbeitet.

Es war eine Zeit großer politischer Umbrüche, wie wurden in diesem bzw. in Ihrem Umfeld damals Menschen mit geistiger Behinderung wahrgenommen?

Bernhard Conrads: Das ist kaum kurz zu beantworten – ein Versuch: Die 80er Jahre waren geprägt durch die Propagierung des Normalisierungsprinzips, des Integrationsgedanken und der beginnenden Emanzipationsbestrebungen. Die „Krüppelbewegung“ provozierte Politik und etablierte Behindertenverbände – insbesondere auch die großen (kirchlichen) Einrichtungsträger.

Ein Umdenken fand statt: Der behindere Mensch wollte nicht mehr Objekt (wohlgemeinter) Fürsorge sein, sondern Individuum und Subjekt selbstbestimmten Lebens. In der Elternschaft gab es Spannungen zwischen der älteren Generation, die den Schutzgedanken bewahrt wissen wollten, und den sogenannten „Integrationseltern“. Behinderten Menschen galt immer noch eher Mitleid. „Kein Mitleid – wir wollen Respekt“ war der Gegen-Slogan. Das „Sorgenkind“–Image war verbreitet, wurde aber durch behinderte Menschen selbst immer mehr abgelehnt. Nach und nach änderte sich zumindest in Teilen der Bevölkerung das Image dahingehend, dass auch (geistig) behinderten Menschen Leistungsfähigkeit und Lebensfreude „zugestanden“ wurde. Gleichwohl blieben belastende Vorurteile dominant.

Karl-Heinz Thommes: Als Schulleiter einer Schule für Geistigbehinderte und als Geschäftsführer einer Lebenshilfe Kreisvereinigung bestand eine Hauptaufgabe darin, Sprachrohr und Vertreter für die Menschen mit geistiger Behinderung zu sein, da sie selbst dazu noch nicht in der Lage waren. Durch die Teilnahme bei den internationalen Spielen von Special Olympics konnten sie dann selbst auch in der Öffentlichkeit zeigen, was sie im Stande sind zu leisten.

Gernot Buhrt: Ich bin in der DDR aufgewachsen, und da tauchten Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung so gut wie gar nicht in der Öffentlichkeit auf, auch nicht beim Sport. Ich habe erst über meine Arbeit im Rehabilitationszentrum Berlin-Lichtenberg erfahren, was vor 1989 gut und was nicht so gut lief bei der Betreuung und Förderung dieser Menschen in der DDR.

Gerade in der Wendezeit 1989/90 und bis vielleicht Mitte der 90er Jahre konnte man mit dem Thema „Nachholbedarf und schnellstmögliche Angleichung der Lebensverhältnisse behinderter Menschen“ im wieder vereinten Berlin öffentlich einiges erreichen. Wir haben das natürlich auch für Special Olympics versucht auszunutzen und hatten darum schon sehr früh z.B. zur Berliner Landespolitik und zum LSB Berlin einen guten Draht.

Der ehemalige „West-Berliner“ Behindertensportverband hatte dagegen bis zur Wiedervereinigung so gut wie gar nichts in die Entwicklung des Sport für Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung investiert und traute diesen Menschen maximal wettbewerbsfreien Spielsport zu. Sie waren mit Ihrer Vorstellungswelt in den siebziger Jahren stehen geblieben. Es gab also auch im „Westen“ Nachholbedarf und darum viel zu tun.

Gernot Buhrt (3. v.l.) und Michael Buckup (links) bei der Siegerehrung des 1. Bundes-Tischtennis-Turnieres in Hannover. (Foto: privat)
Gernot Buhrt (3. v.l.) und Michael Buckup (links) bei der Siegerehrung des 1. Bundes-Tischtennis-Turnieres in Hannover. (Foto: privat)

Was hat man Menschen mit geistiger Behinderung damals im Sport zugetraut (oder vielmehr: was nicht)?

Bernhard Conrads: …sicherlich weniger Leistung und persönlichen Ehrgeiz. Für den Großteil der Bevölkerung war der Gedanke, dass überhaupt Menschen mit geistiger Behinderung Sport treiben wollen oder können, unrealistisch. Ähnlich wie bei der Frage um Partnerschaft und Sexualität dürfte man vielen geistig behinderten Menschen den Wunsch überhaupt nicht zu getraut haben, in sportlicher Betätigung Freude und Erfüllung zu finden. „Ich will gewinnen …“ der Inhalt unseres Athleteneids war in Frühzeiten von Special Olympics Deutschland sicher visionär.

Anders mag dies bei Eltern oder Mitarbeitern ausgesehen haben, wenngleich auch hier Skepsis und mangelndes Zutrauen verbreitet war -und teils noch ist: „Grundsätzlich geht’s schon mit dem Sport, aber mein Sohn? Das ist nichts für ihn“…

Gernot Buhrt: Wie schon angedeutet, war es 1991 der breiten Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt und bewusst, dass Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt leistungsorientierten Sport betreiben können und auch wollen. Hier hat SOD in den folgen Jahren sehr viel für Aufklärung und auch Respekt gesorgt.

Karl-Heinz Thommes: Zu Beginn meiner Tätigkeit, 1970 bis in die 80er Jahre hinein, galt für geistig behinderte Menschen überwiegend Motopädagogik, Bewegung und Spiel. Hinzu kam dann bei vielen die ärztlich verordnete Bewegungstherapie. In den Schulen wurden z.T. abgespeckte Bundesjugendspiele durchgeführt, die aber nur für einen geringen Anteil durchführbar waren. Dieses Programm wurde dann oft vom Behindertensportverband ausgeführt.

Bis zu den ersten nationalen Sommerspielen 1998 in Stuttgart - was waren die Schwerpunkte Ihrer Arbeit? Was waren persönlichen Erfolgserlebnisse?

Bernhard Conrads: Erfolgserlebnis: Zuvorderst die Gründung von SOD! Es war ein großer Erfolg, dass es gelungen ist, eine Allianz der damaligen Behindertenverbände und einiger interessierter Einrichtungen zu bilden, die dann zu ersten Absprachen und dann zu Vereinsgründung führte.

Gernot Buhrt: Einige Schwerpunktaufgaben hatte ich bereits ausgeführt, wie die Vernetzung untereinander und die Suche nach Partner für unsere Vorhaben in Politik,  Wirtschaft und Sport.

Allen war klar, dass sich die Special Olympics Philosophie nur über Special Olympics Veranstaltungen weiter verbreiten konnte. Es musste uns gelingen, ein Veranstaltungssystem mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln auf den Weg zu bringen. Zum einen versuchten wir, Veranstalter von bereits funktionierenden Sportfesten für geistig behinderte Sportler davon zu überzeugen, dass Special Olympics Konzept zu verwenden und die Veranstaltungen dann auch als  „Special Olympics Veranstaltung“ öffentlich auszuweisen.

Außerdem haben wir versucht, neue Veranstaltungen in verschiedenen Regionen zu initiieren. Und natürlich mussten wir (SOD) selber als Veranstalter von eigenen bundesweiten Veranstaltungen in Erscheinung treten. Bis Stuttgart 1998 waren das, glaube ich, drei Bundesfußballturniere, ein Bundesschwimmfest und ein Bundestischtennisturnier, welche unsere Organisation bundesweit bekannter gemacht haben. Dank gebührt dabei insbesondere Gerd van Dam und Michael Buckup, die mit ihrem ganz persönlichen Einsatz und Engagement diese Veranstaltungen erst möglich gemacht haben.

Mein persönliches Erfolgserlebnis war bis zu den Spielen in Stuttgart, dass wir in Berlin ab 1995 und mit Unterstützung des Teams OTIS sowie des LSB Berlin unsere Veranstaltung „Special Olympics Berlin“ auch für Interessenten aus anderen Bundesländern öffnen und SOI Standards beim Veranstaltungsmanagement erreichen konnten. 

Karl-Heinz Thommes: Hauptaufgaben waren Freunde, Bekannte, Einrichtungen und Verwaltungen mit der Idee von SO vertraut zu machen, in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Spiele auf örtlicher und regionaler Ebene nach dem Reglement von SO durchzuführen. In Rheinland-Pfalz habe ich drei Länderspiele zusammen mit dem Behindertensportverband durchgeführt, die große Resonanz bei den Athleten selbst aber auch in der Öffentlichkeit und den Ministerien hinterließen und somit einen Grundstock für die spätere Arbeit gelegt haben.

Bernhard Conrads: Stuttgart 1998 selbst mit 1,000 Teilnehmern wurde von uns als Erfolg gesehen. Auch, dass Tim Shriver kam. Seine Reaktion war höflich-anerkennend … Gleichwohl: Dadurch dass Ministerin a.D. Annemarie Griesinger, zugleich Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, zu Gast war, wurde eine gewisse Publizität erreicht – gerade auch innerhalb der Mitgliedschaft der Lebenshilfe.

Gernot Buhrt: Bei den Spielen 1998 selbst hat mich dann die Solidarität und Hilfsbereitschaft einiger besonders aktiver Trainer mit den Ausrichtern der Veranstaltung sehr gefreut und beeindruckt.
Es waren die ersten Nationalen Spiele und nicht alles konnte da bereits perfekt funktionieren. Unsere Ausrichter in Stuttgart hatten im Endeffekt zu wenige Wettkampfleiter mit Special Olympics Erfahrungen vor Ort. Am ersten Wettkampftag kamen darum die wichtigen Großsportarten Leichtathletik, Schwimmen und Fußball nicht so recht in Gang. Daraufhin haben sich ganz spontan Trainer von teilnehmenden Teams angeboten einzuspringen und diese Aufgabenbereiche übernommen.

Da war mir klar, dass diese Organisation trotz vieler aktueller Probleme wirklich eine Zukunft hat. Einige dieser „Helden von Stuttgart“ sind bis in heute in wichtigen Funktionen bei SOD aktiv wie z.B.  Peter Wilke und  Björn von Borstel.




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