Interview: Die sportliche Entwicklung

Die Brüder Björn von Borstel, Nationaler Koordinator Leichtathletik, und Lars-Michael Stenner, Athlet und Mitglied im Orgateam Leichtathletik, sind seit Gründung von Special Olympics Deutschland und bis heute von Hamburg aus aktiv für SOD tätig. Lars als erfolgreicher Athlet und seit einigen Jahren auch im Ehrenamt als Orgahelfer, Björn als Trainer und spiritus rector der Leichtathletik bei SOD. 


Wann haben Sie zum ersten Mal von Special Olympics erfahren und wann und wie sind Sie dann in welcher Funktion resp. als Athlet aktiv geworden?

Beide: Unsere Mutter (Bärbel von Borstel-Stenner) war 1991 als Mitglied der Lebenshilfe Hamburg bei der Gründungsversammlung in Marburg anwesend. Sie hatte bereits 1985 eine Integrationssportgruppe der Lebenshilfe Hamburg in Kooperation mit einem Sportverein, der TSG Bergedorf von 1860, gegründet - diese Integrationssportgruppe war somit auch Gründungsmitglied 1991 von Special Olympics Deutschland.

Björn von Borstel: Ich bin auch schon seit 1985 als Übungshelfer in dieser Integrationssportgruppe tätig. Schon mit 16 Jahren habe ich den Übungsleiterschein angefangen und durfte die Prüfung mit Ausnahmeregelung bereits vor meinem 18. Geburtstag ablegen. Ich kam selber aus der aktiven Leichtathletik und habe dort u.a. den Mehrkampf betrieben. 1989 war ich dann bereits auf Einladung von Prof. Kapustin mit unseren Sportlern auf einer Veranstaltung in Franken/Bayern, die „Mein Olympia“ hieß. Von diesem Zeitpunkt an habe ich die Athleten und Athletinnen in unserer Integrationssportgruppe im Schwimmen und in der Leichtathletik betreut, trainiert und zu Wettbewerben begleitet.

Sie sind Brüder – was finden Sie am anderen besonders gut? Was kann einer vom anderen lernen?

Björn von Borstel: In den Kinderjahren und der Jugend haben wir beide viel voneinander gelernt - mal konnte der eine etwas besser - mal der andere, profitiert haben letztendlich beide davon.

Lars Stenner: Mein Bruder ist auch mein bester Freund! Heute zeigt mir mein Bruder, wie ich ihn beim Training unterstützen kann und ich kann jetzt auch bestimmte Übungen beim Training mit den anderen Sportlern übernehmen.

Björn von Borstel: Darüber hinaus bin ich auch sehr stolz auf meinen Bruder, dass er gelernt hat, mich inzwischen auch als Helfer in den Trainingsgruppen zu unterstützen.

Wie wichtig ist der Sport in Ihrem Leben?

Lars Stenner: Sport ist mir seit 1970 wichtig im Leben, bis heute. Ich trainiere immer noch zweimal wöchentlich je zwei Stunden Schwimmen und Leichtathletik und im Sommer fahre ich auch regelmäßig mit dem Fahrrad.

Björn von Borstel: Ich habe mein Leben lang immer aktiv Sport getrieben und auch unterschiedliche Sportarten ausprobiert. Zunächst Schwimmen - gemeinsam mit meinem Bruder in einer Behinderten-Sport-Gemeinschaft der BSG Wilhelmsburg/Hamburg. Dort habe ich mit sechs Jahren von einem einarmigen Schwimmtrainer das Schwimmen gelernt - auch ein tolles Erlebnis in meinem Leben. Dann habe ich Fußball und schließlich Leichtathletik ausprobiert, wo ich selber über mehrere Jahre in der TSG Bergedorf/Hamburg aktiver Sportler war - bis zu einer Knieverletzung.

Danach habe ich für mich einen Ausgleich gesucht, den Übungshelfer- Übungsleiterschein gemacht und bin so auf die andere Seite gewechselt. Mir war es wichtig, im Sport weiter aktiv zu bleiben und meine Kenntnisse und Fähigkeiten auf Menschen mit Behinderung zu übertragen.

Lars Stenner: Ich bin damals auch oft mit meinem Bruder und meinem Vater zusammen zum Schwimmen gegangen. Gemeinsam mit meinem Bruder hat es mehr Spaß gemacht. Später habe ich ihn auch oft zum Leichtathletiktraining begleitet und habe bei seinen Wettkämpfen zugeguckt. Das wollte ich dann auch machen.

Björn von Borstel: Und eigentlich machen wir im Sport seit je her oft alles gemeinsam.

Lars Stenner: Gemeinsam macht es mehr Spaß.

Was ist Ihr schönstes/unvergessliches gemeinsames SO-Erlebnis?

Beide: Die Teilnahme bei den Special Olympics World Summer Games 1991 in Minneapolis & St. Paul in den USA!

Lars Stenner: Ich habe dort den 4. Platz belegt im Kugelstoßen und den 6. Platz im 400 m Lauf. Ich war sehr stolz. Ich habe dort auch Kojak (Telly Savalas) getroffen.

Björn von Borstel: Ich hatte das Glück, 1991 meinen Bruder und Heinrich Schreiber - einen weiteren Athleten unserer Integrationssportgruppe zu den Weltspielen 1991 - als Coach zu begleiten. Beide haben, wie alle anderen Athleten auch, ihr Bestes gegeben. Aber wenn der eigene Bruder auf dem Siegerpodest steht und sich über einen 4. und einen 6. Platz so sehr freut, als wäre er Erster geworden, dann weiß man: Jeder ist ein Sieger! Da stiegen mir Tränen in die Augen, die ich nie wieder vergessen werde.

Ein weiteres tolles Erlebnis im Rahmen der Weltspiele war die Tatsache, dass ich mit Gernot Buhrt während der Spiele das Zimmer teilen durfte - unsere enge Freundschaft hat dort ihren wahren Ursprung gehabt.

Björn, wie wurden in dieser Zeit der frühen 90er Jahre in Ihrem Umfeld Menschen mit geistiger Behinderung wahrgenommen? Und wie Special Olympics?

Ich habe bei der Ausbildung zum Übungsleiter (1988) erfahren bzw. erlebt, dass dort u.a. gesagt wurde: Warum sollen geistig Behinderte Fußball spielen - die schießen ja eh immer ins eigene Tor. Für mich war das schon der größte Ansporn, der Gesellschaft das Gegenteil zu beweisen. Auch wenn ich mit meinem Bruder auf den Bolzplatz gegangen bin, haben wir zunächst erfahren, dass Lars oft nicht mitspielen sollte, weil die Übrigen Angst hatten, dann mit ihm das Spiel zu verlieren. Erst als ich die anderen davon überzeugen konnte, es mal auszuprobieren, haben sie erfahren, dass mein Bruder es sehr wohl konnte. Er stand im Tor, hat fast jeden Ball gehalten - von da an durfte er immer mitspielen.

Ich denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch die restliche Gesellschaft über Menschen mit geistiger Behinderung gedacht hat. Sie mussten es erst beweisen, dass sie etwas können, bevor sie von der Gesellschaft entsprechend Anerkennung und Aufmerksamkeit erfahren haben.

Für mich, meine Familie und auch für unsere Freunde war es normal, dass mein Bruder überall mit dabei war und zwar immer mittendrin und nicht nur am Rand. Dort, wo wir mit unserer Integrationssportgruppe in der Öffentlichkeit aktiv geworden sind - sei es bei Sportfesten der Leichtathletik-Abteilung oder beim gemeinsamen Ferienzeltlager der Vereinsjugend im Sportverein –, mussten wir zunächst immer Aufklärungsarbeit leisten, bis es irgendwann normal war, dass wir dabei waren.

Die Special Olympics waren ja zunächst niemandem ein Begriff - oft gleichgesetzt oder verwechselt mit den Paralympics (zum Teil auch noch heute). Bei uns im Bezirk wurden 1991 bei der Sportlerehrung Heinrich Schreiber und mein Bruder für ihre Leistungen bei den Weltspielen in den USA ausgezeichnet, dafür bedurfte es eines Besuchs bei der damaligen Bezirksbürgermeisterin. Diese hat dann verfügt, dass es selbstverständlich sei, dass auch Sportler mit geistiger Behinderung für ihre sportlichen Leistungen geehrt und gewürdigt werden. Das hat uns und damit auch Special Olympics auf regionaler Ebene seit damals in der Öffentlichkeit sehr geholfen.

Immer wieder kleine Schritte, die auch heute noch nötig sind, um einen höheren Bekanntheitsgrad von Special Olympics und mehr Anerkennung für unsere Special Olympics Athleten in der Gesellschaft zu erreichen.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Wettbewerb bei SO erinnern, Lars?

Das war ein kleiner Wettbewerb vor den Weltspielen 1991 - aber erinnern tue ich mich am Besten an Minneapolis! Die anderen Wettbewerbe kamen ja in Deutschland erst danach. Leichtathletik in Bielefeld, Fußball in Essen, Schwimmen in Berlin und überall.




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