27.07.2015 09:47 Uhr

Vor den Augen der Familie: Christian Weißenberger gewinnt die erste deutsche Medaille

Es ist Sonntagmorgen kurz vor 9 Uhr. Das Loker Track Stadion, in dem die Leichtathletik-Wettbewerbe bei den Special Olympics World Summer Games 2015 in Los Angeles ausgetragen werden, ist prall gefüllt. Es läuft seit 25 Minuten der 10.000 Meter Lauf, die erste Medaillenentscheidung bei den Weltspielen.

Zu diesem Zeitpunkt hat Christian Weißenberger aus dem baden-württembergischen Tettnang schon 20 von 25 Stadionrunden absolviert. Man sieht es ihm nicht an. Wie ein Schweizer Uhrwerk dreht er mit fast identischen Rundenzeiten seine Bahnen. Es sind noch fünf Runden bis zum Ziel.

Seine Eltern Clarissa und Peter wirken nervöser als Christian selbst, wahrscheinlich sind sie es auch. Frenetisch feuern sie ihn in jeder Runde an. Als Gäste des Familienprogramms von Special Olympics Österreich sind Sie am vergangenen Dienstag in Los Angeles eingetroffen und bleiben bis zum Abschluss der Weltspiele vor Ort. Es ist nach den World Games 2011 in Athen/Griechenland schon das zweite Mal, das Christian an einer internationalen Veranstaltung teilnehmen kann. Auch dorthin haben sie ihn begleitet.

Dabei sah es lange gar nicht danach aus, dass Christian einmal ein ambitionierter Läufer wird. In seiner Einrichtung, der Diakonie Pfingstweid in Tettnang, spielte er jahrelang Fußball. Seinem Sportlehrer Adrian Germanus fiel schon länger seine außergewöhnliche Laufstärke auf, auch wenn der Ball gar nicht in der Nähe war. 2007 fragte er Christian, ob er nicht einmal gemeinsam mit ihm laufen gehen möchte – gefragt, getan. Durch seine Teilnahme als Läufer bei den Regionalen Spielen von Special Olympics Baden-Württemberg qualifizierte er sich für die Nationalen Spiele 2010 in Bremen. Der Beginn einer erfolgreichen Laufbahn.

Christian hat das Asperger Syndrom, umgangssprachlich vereinfacht auch oft als Autismus bezeichnet. Ein eingeschränktes Kontakt- und Kommunikationsverhalten merken ihm Außenstehende nicht an. Wenn es beispielsweise um seine Hobbies Raumfahrt und Astronomie geht, glänzt er auch vor vielen Leuten mit seiner fundierten Fachkenntnis. So durften es seine Delegationsmitglieder vom Team Germany bei einem Besuch des Raumfahrtzentrums JPL während des Host Town Programms erfahren, als er der englischsprachigen Tourführerin als fachlicher Übersetzer aushalf.

Um kurz nach 9 Uhr am Sonntagmorgen in Los Angeles läutet der Kampfrichter die letzte Runde ein. Christian ist auf Silbermedaillen-Kurs. Vor ihm liegt uneinholbar ein Kenianer, nach hinten hat er ausreichend Puffer. Es sieht gut aus, seine Eltern feuern ihn an und können den Zieleinlauf kaum erwarten.

Auch sein Heimtrainer Adrian Germanus ist mit vor Ort. Christians sportliche Erfolge haben sich herumgesprochen in der baden-württembergischen Gemeinde. Einige klein- und mittelständische Unternehmen unterstützen Christian und seinen Trainer, so finanzieren sie Adrian Germanus die Reise nach LA.

Im deutschen Special Olympics Leichtathletik-Team wird Christian zusätzlich seit Bremen 2010 noch von Wilfried Negele betreut. Christian war ihm dort bei den Nationalen Spielen aufgefallen, weil er direkt nacheinander im 10.000 und 5.000 Meter Rennen an den Start ging. Er gewann sie beide souverän.

Auch die letzte Runde spult Christian mit der gewohnten Ruhe und Souveränität herunter. Er kennt beinahe jede Rundenzeit seiner Rennen auswendig. Den Zuschauer beschleicht das Gefühl, dass Christian hier noch ewig so weiterrennen könnte. Der Kampfrichter jedoch leitet ihn unmissverständlich unter Standing Ovations der Zuschauer zum Zieleinlauf – zweiter Platz, Silbermedaille, die zweitbeste Zeit in der stärksten Klasse, zweitschnellster Special Olympics Athlet der Welt über 10.000 Meter. Ein tolles Gefühl!

Clarissa und Peter Weißenberger strahlen mit der Sonntagmorgen-Sonne in LA um die Wette. Zuhause warten Christians drei Schwestern sicher schon gespannt auf das Ergebnis. Sie werden sehr stolz auf ihn sein.

Im Auslauf wird Christian von Heimtrainer Adrian Germanus und Vater Peter mit festen Umarmungen und zahlreichen Glückwünschen empfangen. Auf die Siegerehrung muss Christian anschließend im Aufrufzelt eine ganze Weile warten. Während die zahlreichen Gäste schon langsam ungeduldig werden, unter ihnen die Mitglieder der Bundestagsdelegation um Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt, die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Verena Bentele, DOSB-Vizepräsidentin Gudrun Doll-Tepper und SOD-Präsidentin Christiane Krajewski, wartet er mit stoischer Gelassenheit auf seinen Aufruf. Er könnte auch noch weitere 10 Runden so warten.

Dann jedoch ist es endlich so weit. Ein strahlender Christian Weißenberger betritt das Siegerehrungspodest. Ruhig nimmt er seine Silbermedaille entgegen. Ein zufriedenes Lächeln zeigt allen Zuschauern die wahnsinnig große innere Freude. Es ist am ersten Wettbewerbstag somit auch die erste Medaille für Team Germany – es hat sie keiner mehr verdient als Christian Weißenberger. (th)



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