03.07.2023 11:54 Uhr

Die Welt zuhause in Berlin

Als kleiner Teil des #TeamSOD durfte ich die Reise zu den Weltspielen, gemeinsam mit unseren Athletinnen und Athleten, antreten und mit meiner Kamera begleiten. Ich möchte meinen persönlichen Einblick mit euch teilen. Es war eine emotionale Reise mit 572 Mitgliedern der großen Special Olympics Familie. Sie wird unvergesslich bleiben und sie war wie folgt:

Die letzten Sonnenstrahlen hüllen den riesigen Innenraum des Olympiastadions in ein warmes, weiches Licht. Sie sitzt bereits einige Zeit auf der leeren Tribüne und sieht dabei zu, wie Daniela Huhn und andere Athletinnen und Athleten aus der Welt die große, weiße Special Olympics Fahne über die Bühne bis hin zu ihrer Endposition bringen. Vereinzelt begleitet von orchestraler Musik – immer wieder unterbrochen zwecks Regieanweisungen. Nun kommt der Mann mit dem Kopfhörer auf sie zu und weist sie ein. Ein aufgeregtes „Ja“ folgt auf die Frage, ob sie alles verstanden habe. Dann wird ihr die Fackel überreicht. Die abendlichen Sonnenstrahlen wurden inzwischen vom blauen Nachthimmel abgelöst und lassen das Feuer aufleuchten.

Diesen Weg wirst du am Samstag ganz allein gehen, liebe Sophie. Und du wirst das ganz fantastisch meistern.

Ein Abend für die Geschichtsbücher.

Es ist kurz vor Mitternacht. Die Ränge sind voll. 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauer feiern 7000 Athletinnen und Athleten. In diesem Moment richten sich alle Blicke nur auf Sophie. Sie steht nervös an der Seite, auf ihrer Position, so wie geprobt. Und dann ist der Moment endlich da. Das Scheinwerferlicht verfolgt sie auf ihrem Weg über die große Bühne. Getragen vom Applaus läuft Sophie die letzten Meter bis hin zur Feuerschale. Sie dreht sich noch einmal im Kreis, winkt ihnen allen zu und entzündet die Flamme der Hoffnung.

Die Special Olympics Weltspiele 2023 sind eröffnet. Sophie atmet tief durch, sichtlich erleichtert und überglücklich. Unser ganzes Team ist stolz. Als Delegationsmitglied stehe ich mit ihnen allen im Innenraum des Stadions meiner Träume und kann meine Tränen zum wiederholten Male nicht zurückhalten. Hockey-Spielerin Lara bekommt es mit, nimmt mich in ihre Arme und strahlt mich an: „Das ist doch kein Problem. Ich bin da und passe auf dich auf.“ 

Eine ganze Woche lang.

7000 Athletinnen und Athleten saugen in dieser Zeit die Atmosphäre auf, feiern sich, zeigen der Welt zu welchen Leistungen sie fähig sind. Und die Welt sieht hin, jubelt und gibt ihnen die Aufmerksamkeit, die selbstverständlich sein sollte.

Vor Halle 5.2 hat sich auch am fünften Wettkampftag eine Schlange gebildet. „Wir haben keine freien Plätze mehr“, heißt es von einem Volunteer. Das Geräusch von tosendem Applaus dringt schon seit Minuten auf den Gang hinaus. Kraftdreikämpfer Danilo Pasnicki steht vor seiner mit 165 Kilo beladenden Hantelstange. Er beugt sich nach vorne, umfasst die Stange und hebt das Gewicht hoch. Den zweiten Versuch besteht er scheinbar mühelos, so dass es anschließend ein leichtes für ihn ist, seinen Trainer vor Freude in die Luft zu heben und sich mit ihm im Kreis zu drehen.

Auf dem Weg durch die Messehalle höre ich Wortfetzen in den unterschiedlichsten Sprachen. Dann mache ich kurz halt, sehe und höre einem afrikanischen Team beim lauten Chorgesang zu. Gänsehautmomente reihen sich aneinander.

Zuschauer auf der ganzen Welt erleben, was Inklusion bedeutet. Es ist ganz einfach. Eine Geste. Ein Lächeln. Ein offenes Ohr. Ein Anfeuern. Ein in den Arm nehmen. Ein Hände reichen. Reihe dich einfach in eine der vielen Polonaisen ein und tanze gemeinsam mit Sportlerinnen und Sportlern über den Platz des 17. Juni, im Rücken das Brandenburger Tor, das an seiner Symbolträchtigkeit niemals einbüßt, sondern diese Menschen heute vereinigt. Es gibt keine Sprachbarrieren, den Tanz zu „Macarena“ beherrscht hier so gut wie jeder. Alle in einem Rhythmus. Es werden Erinnerungsfotos geschossen und Pins getauscht, wie es bei Weltspielen Tradition ist. Jedes Land hat seinen eigenen mitgebracht, untereinander werden sie getauscht und gesammelt. „Sarah, darf ich dir meine Sammlung zeigen?“, fragt mich Robin. „Selbstverständlich, ich bin gespannt.“ Er holt einen bis oben hin gefüllten Getränkebecher mit seinen Errungenschaften heraus. Eine halbe Stunde schauen wir uns gemeinsam alles an. Mit Begeisterung berichtet er von seinen neuen Freunden aus Hong Kong: „Mit denen habe ich meine Jacke getauscht und später machen wir noch ein Foto miteinander.“

Mit Medaillen im Aufzug.

Die deutsche Delegation ist im Park Inn am Alexander Platz einquartiert. Zusammen mit den Athletinnen und Athleten aus den Niederlanden, Irland oder Zypern. Gemeinsame Aufzugzeit - und davon gibt es reichlich – wird genutzt, um Pins zu tauschen oder sich gegenseitig Medaillen zu zeigen. Davon gibt es jede Menge und sie werden voller Stolz getragen.

Mein Weg ins Restaurant führt mich über den langen Flur. Hier ein Abklatschen und kurzer Austausch mit Fabrizio, aus dem Hintergrund ruft jemand „Glück auf.“

„Magst du dich zu uns setzen?“, fragt mich Leichtathletin Judith, die mir daraufhin von ihrem erfolgreichen Tag erzählt. Steffen und Philipp sitzen ebenfalls am Tisch, gehören aber eher der ruhigeren Fraktion an. Im Gegensatz zu unseren Essener Futsal-Spielern, die spätestens seit der Busfahrt zur Eröffnungsfeier Legenden sind. Marius und André brachten allen Mitinsassen das „Steigerlied“ und ein ordentliches „Glück auf“ bei - inklusive kurzzeitigem Verlust der Stimme.

Glück, das sich nicht in Worte fassen lässt.

Da ist er wieder. Der immer gut gelaunte Jochen von der BSG Ratingen. Heute jubelt er vor der vollbesetzen Zuschauertribüne über den Gewinn der Bronzemedaille im Fußball. Außer sich vor Freude nimmt er alle in den Arm und wirft mir Luftküsse zu. Er kann sein Glück kaum fassen.

Miteinander. Füreinander.

„Wenn du möchtest, mache ich dir ein Armband mit deinem Namen, Sarah.“ „Darüber würde ich mich sehr freuen, liebe Nicola.“ Gesagt, getan. Sie brachte es mir am NRW-Abend mit. „Das habe ich doch gerne gemacht, mein Schätzchen.“

Am Tisch sitze ich mit den Fußballerinnen der Hephata aus Mönchengladbach, während Rosa uns geduldig Gebärden beibringt. Am Ende können zwei Sarahs die Wochen- und Monatstage gebärden. Vielen Dank dafür.

Danke.

Zum Abschluss der Athletenparty liegt sich der Chor der Tausenden in den Armen und richtet Grüße an Queen in Richtung des Berliner Abendhimmels: “No time for losers 'cause we are the champions -of the World.“ So fühlt es sich an, dieses Miteinander. Dieses #ZusammenUnschlagbar – stilvoll in Adiletten.

Nach zwölf gemeinsamen Tagen weiß ich nicht mehr, wohin mit den ganzen Eindrücken und Emotionen. Wie soll ich denn jetzt wieder in die Realität finden? Dann erzählt mir Delegationsmitglied Keren von ihrem Gespräch mit einer Athletin, die zu ihr sagte: „Ich war einfach eine Woche ein ganz normaler Mensch.“

… Lara, zum Glück bist du an meiner Seite.

 

Bericht und Bild: Sarah Rauch / SONRW 

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